Kartellrecht gehört zwar nicht zu meinen Kernkompetenzen, allerdings war der neu aufgeflammte Streit zwischen EU-Kommission und und Google ein guter Anlass, mich einmal genauer mit der rechtlichen Situation zu befassen. Davon ab sind auch die Hintergründe – nämlich Geschäftsmodelle im Internet sowie die Funktionsweise der Google-Suche – durchaus interessant; sowohl für Webdesigner, als auch für IT-Juristen. Der folgende Artikel ist etwas länger und soll vor allem die Hintergründe beleuchten sowie mögliche Probleme und Fragen aufwerfen.
Zum Sachverhalt
Am 15.04.2015 wurden seitens der Kommission aktuelle Beschwerdepunkte an der Google-Suche an Google übermittelt. Darüber hinaus wurde auch eine förmliche Untersuchung zum Betriebssystem Android eingeleitet. Damit hat die Kommission ihren Kurs grundlegend geändert: Nach diversen Zugeständnissen von Google sollte das Verfahren gegen Google bereits im Februar 2014 eingestellt werden. Aufgrund anhaltender Kritik durch mögliche Mitbewerber hatte die neue Wettbewerbskommissarin, Margrethe Vestager, im Dezember 2014 angekündigt, die Untersuchungen fortführen zu wollen.
Die rechtlichen Grundlagen für das Verfahren
Die kartellrechtlichen Grundlagen finden sich in Art. 102 AEUV wieder: Demnach ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder einem wesentlichen Teil desselben durch ein Unternehmen verboten, wenn dies den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen vermag. Gemäß Unterpunkt c) ist eine solche Beeinträchtigung insbesondere dann anzunehmen, wenn durch die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen eine Benachteiligung von Handelspartnern im Wettbewerb hervorgerufen wird. Es ist daher zu prüfen, ob die genannten Merkmale auf die Suchdienste von Google und Android zutreffen. Eine Ausgestaltung des Kartellverfahrens findet sich in der Verordnung (EG) 1/2003.
1. Marktbeherrschende Stellung von Google
Zunächst müsste Google eine marktbeherrschende Stellung in einem Teil des europäischen Binnenmarkt haben. Ob ein Suchmaschinen-Markt existiert oder nicht direkt auf die in Suchmaschinen und Webseite geschaltete und letztlich gewinnbringende Werbung abgestellt werden muss, scheint bereits fraglich zu sein. Ich werde mich im Folgenden der Einfachheit halber auf die Suchmaschinen konzentrieren, da diese jedenfalls ein Indiz über die Reichweite und Klickzahlen liefern können.
In Deutschland hat die Google-Suchmaschine im Jahr 2015 einen Marktanteil von 94,8% und konnte sich damit im Vergleich zum Vorjahr (91,2%) noch verbessern. Das Bild im europäischen Ausland ist ähnlich: Der durchschnittliche Marktanteil beträgt dort 92,8%. Die nächstgrößeren Mitbewerber, bing (2,5%) und yahoo (2,1%), haben im Vergleich dazu keine nennenswerten Marktanteile.
Hinsichtlich der Nutzung des mobilen Betriebssystems Android hat Google einen Marktanteil in Europa von knapp 70%.
Google hat also in beiden Fällen erheblich größere Marktanteile als die Mitbewerber. Während dies einerseits für eine marktbeherrschende Stellung sprechen würde, sollte jedoch auch bedacht werden, dass es eine Vielzahl an – mehr oder weniger populären – Alternativen gibt, die auch jeder Verbraucher ohne größere Nachteile nutzen könnte.
2. Missbräuchliche Ausnutzung dieser Stellung und Beeinträchtigung des Handels
Der zentrale Vorwurf gegen Google lautet, durch die Suchmaschine unter missbräuchlicher Ausnutzung der vorhandenen Marktmacht den Handel zu beeinträchtigen. Zur Beantwortung dieser Frage möchte ich zunächst etwas weiter ausholen und die Funktionsweise einer Suchmaschine erläutern: Durch den Einsatz von sog. „Crawlern“ wird das Internet regelmäßig durchsucht und die gefundenen Inhalte werden in einem Index abgelegt. Bei der Suchanfrage eines Nutzers werden anhand der Suchanfrage und der im Index vorhandenen Daten die Suchergebnisse ausgegeben. Um die Ergebnisse für den Nutzer möglichst sinnvoll einzugrenzen, nutzt Google einen Suchalgorithmus, der aktuell mehr als 200 verschiedene Merkmale berücksichtigt. Treffer, die von Google als relevant erachtet werden, werden also weiter vorne angezeigt. Die obersten Suchtreffer haben für den Benutzer dabei besonders hohe Relevanz: Einer Studie zufolge klicken 30% der Benutzer auf den ersten Treffer, 71% entscheiden sich für einen Treffer auf der ersten Seite. Die Anordnung der Inhalte in der Google-Suche hat insofern großen Einfluss auf das Klickverhalten der Nutzer.
Neben der allgemeinen Google-Suchmaschine bietet Google auch weitere Suchdienste an, die sich spezifischen Bereichen widmen, z.B. Google Shopping, Google Flights oder Google Hotel Finder. Diese Dienste stehen in Konkurrenz zu anderen Anbietern von Vergleichsplattformen, die nach eigenen Angaben gegenüber der Kommission ihre Existenz durch eine mögliche Bevorzugung der eigenen Dienste durch Google gefährdet sehen.
Kritik der Kommission
Die Kommission bemängelt diesbezüglich die folgenden Punkte:
- Google platziere seit 2008 den eigenen Preisvergleich an einer besonders sichtbaren Stelle, unabhängig von der Relevanz
- Das eigene System sei vom sog. „Sanktionssystem“, dem andere Vergleichsplattformen durch den Suchalgorithmus unterliegen, ausgenommen
- Der erste Shopping-Dienst von Google, „Froogle“, sei nicht bevorzugt worden und habe sich entsprechend auch nicht durchsetzen können, während die bevorzugten Nachfolgesysteme erfolgreicher waren
Eine Beeinträchtigung des Handels sei in zwei Umständen zu sehen: Zunächst führe eine Benachteiligung von Mitbewerbern dazu, dass weniger Anreize für Innovationen gesetzt werden, die wiederum neue Geschäftsmodelle oder Dienste sowie mehr Auswahl für die Verbraucher hervor bringen. Eine direkte Beeinträchtigung von Verbraucherinteressen könne aber auch darin bestehen, dass Benutzer eben nicht zwangsläufig die relevantesten Preisvergleichsergebnisse zu sehen bekommen.
Stellungnahme von Google
Bereits im Februar 2014 hatte Google zugesagt, fortan auch die Dienste dreier objektiv ausgewählter Konkurrenten für die Nutzer gut sichtbar und in vergleichbarer Weise wie die eigenen Dienste anzuzeigen.
Ohnehin könne Google die Kritik an den eigenen Geschäftspraktiken nicht nachvollziehen: Google-Shopping generiere im Vergleich zu anderen Shopping-Webseiten nur geringen Traffic, sodass kaum von einer Verzerrung des Marktes ausgegangen werden könne. Auch das Anbieten einer eigenen Flugsuche habe sich den präsentierten Zahlen zufolge nicht in nennenswerter Weise auf Konkurrenzprodukte ausgewirkt.
Die Kritik der Kommission mag in der Tat nicht komplett zu überzeugen. So ist die Aussage, dass Benutzer nicht die relevantesten Ergebnisse „zu sehen bekommen“ alleine schon deshalb kritisch zu betrachten, weil Google Shopping gar nicht innerhalb der Suchergebnisse angezeigt wird. Nutzer haben somit durchaus die Möglichkeit, Dienste von Konkurrenten zu finden und zu benutzen. Ob der Erfolg von Google Shopping tatsächlich nur durch die Platzierung neben den Suchergebnissen begründet liegt, scheint fraglich. Die Möglichkeit, dass Verbraucher sich auch bewusst für die Nutzung von Google Shopping entscheiden können, muss ebenso untersucht werden und dürfte Google – falls zutreffend – nicht negativ ausgelegt werden. Unabhängig davon ist auch „Relevanz“ ein sehr subjektiver Begriff, dessen Bestimmung zwar nach inzwischen jahrzehntelanger Forschung relativ gut gelingt, sicherlich aber noch nicht perfekt ist.
Förmliche Untersuchung zu Android
Neben den Beschwerdepunkten hinsichtlich der Google-Suche wurde auch eine förmliche Untersuchung zum Betriebssystem Android eingeleitet. Android ist unter den Open Source Lizenz Apache und GPLv2 lizenziert, sodass es von jedem frei genutzt und weiter entwickelt werden kann. Im Mittelpunkt der Untersuchung soll stehen, ob
- Google von Smartphone- und Tablet-Herstellern verlangt oder ihnen einen Anreiz geboten hat, ausschließlich googleeigene Dienste oder Anwendungen vorzuinstallieren
- Google die Hersteller von Smartphones und Tablets daran gehindert hat, veränderte und potentiell konkurrierende Android-Versionen (sog. Android-Forks) zu vertrieben
- Google eine Kopplung oder Bündelung bestimmter auf Android-Geräten vertriebener Google-Anwendungen und -Dienste mit anderen Anwendungen oder Diensten von Google vorgenommen hat.
Eine Beeinträchtigung des Handels erschiene dadurch denkbar, dass durch diese Vorgehensweise konkurrierenden Produkten der Marktzugang erschwert wird.
Google verweist darauf, dass durch die Etablierung von Android als mobiles Betriebssystem der Wettbewerb gestärkt worden sei. Die Benutzung von Android sei aufgrund des Lizenzsystems auch ohne Google möglich, Absprachen mit Herstellern erfolgten lediglich auf freiwilliger Basis und dienten primär der Qualitätsverbesserung.
Ausblick
Nachdem die Beschwerde förmlich an Google übermittelt wurde, hat Google nun die Möglichkeit, sich zu äußern (Art. 27 EG 1/2003). Auf Grundlage dieser Äußerung sowie den Erkenntnissen der Kommission wird dann eine Entscheidung gefällt. Für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens sind verschiedene Möglichkeiten denkbar.
Im für Google schlimmsten Fall könnte die Kommission eine Verletzung von Art. 102 AEUV sehen. Google könnte dann gem. Art. 7 der Verordnung gezwungen werden, die Zuwiderhandlung abzustellen. Darüber hinaus droht Google als Sanktion eine Geldbuße (Art. 23) in Milliardenhöhe.
Eine weitere Möglichkeit könnte darin bestehen, dass Google Verpflichtungszusagen (Art. 9) dahingehend abgibt, die gerügten Praktiken in einer Weise abzuändern, die geeignet ist, eine Beeinträchtigung des Handels zu vermeiden. Dieses Vorgehen hatte im Februar 2014 fast zu einer Einstellung des Verfahrens geführt und scheint auch jetzt ein denkbarer Ausgang zu sein.
Sollte die von Google angekündigte Verteidigung gegen die Vorwürfe überzeugen und die Kommission zu dem Ergebnis kommen, dass keine kartellrechtlichen Verstöße vorliegen, könnte das Verfahren auch ohne Konsequenzen für Google eingestellt werden.